Antrag A3 zur Unterbezirkskonferenz der Jusos Wuppertal am 5. Oktober 2008 in Wuppertal
Der Mensch im Mittelpunkt
„Wo Menschenwürde berührt ist, zählen keine wirtschaftlichen Argumente. Der Sozialstaat ist kein Bremsklotz für die wirtschaftliche Dynamik. Im Gegenteil: Richtig geordnet stärkt er die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, weil er die Menschen entlastet und Freiraum schafft für Kreativität und Leistung.“
Dr. Dr. h.c. Johannes Rau (Berlin 2002)
Politik in der Kommune ist Politik für die Menschen vor Ort. Kommunale Politik ist jedoch einem stetigen Wandel unterworfen. Die wirtschaftliche Lage vieler Kommunen engt Handlungsspielräume ein und begrenzt die Umsetzungsmöglichkeiten zahlreicher Projekte. Mit der Beschneidung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit kommunaler Unternehmen ist dieser Spielraum noch enger geworden. Die Zukunft des Sozialstaates, wird bestimmt durch die Zukunft der Kommunen. Die Diskussion über die Finanzausstattung der Kommunen ist somit auch eine Debatte über die Zukunft des Sozialstaates.
In unserer Stadt werden Menschen konkret mit den Auswirkungen von Politik auf ihr eigenes Lebensumfeld konfrontiert. In den letzten Jahren haben sich die Investitionen der Stadt um nahezu die Hälfte reduziert. Diese Entwicklung ist in vielen Bereichen sichtbar. Mittel für den Ausbau von neuen Schulstätten fehlen. Kommunale Gebäude werden unzureichend saniert. Infrastrukturmaßnahmen werden ständig verschoben. Freiwillige Leistungen der Kommunen können und dürfen nicht erbracht werden. Damit ist die gesellschaftliche und politische Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung und die öffentliche Daseinsvorsorge akut in Gefahr.
Der Verlust von Lebensqualität und sozialem Ausgleich droht oder findet bereits statt. Die demokratieverachtende Landespolitik von CDU und FDP gefährdet zudem die Kommunalpolitik in ihren Grundfesten. Nun muss es darauf ankommen, die richtigen Themen auf der kommunalen Ebene festzulegen und umzusetzen. Mit diesen Vorgaben zum Arbeitsprogramm machen wir dazu den inhaltlichen Auftakt. Strukturwandel positiv gestalten – Finanzausstattung der Kommunen stärken. Wir Jusos Wuppertal definieren den Begriff der kommunalen Daseinsvorsorge, als materielle Grundversorgung die alle sozialen und kulturellen Aufgaben umfasst. Durch die Haushaltssicherung ist eine eigenständige Haushaltsplanung und Schwerpunktsetzung stark eingeschränkt. Dennoch müssen alle Anstrengungen unternommen und finanziert werden, die eine positive Gestaltung des Strukturwandels ermöglichen und fördern.
Wir Jusos Wuppertal fordern daher ein nachhaltiges Wirtschaftskonzept für die Stadt, dass einen realen Beitrag zur Stärkung der Kommune und zur Konsolidierung des Haushaltes leistet. Der Fokus darf hier nicht ausschließlich auf ökonomischen Kriterien liegen, sondern muss die Menschen und ihre Umwelt als Mittelpunkt der staatlichen Verantwortung verstehen. Die kommunale Selbstverwaltung hat Verfassungsrang und muss in ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung gestärkt werden, anstatt sie zu beschneiden. Wir Jusos Wuppertal sprechen uns daher ausdrücklich gegen die Privatisierung kommunaler Unternehmen in allen Bereichen aus. Durch Privatisierung beschneidet sich die Kommune nicht nur ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten sondern stellt die eigene staatliche Legitimation in Frage. Wer Handlungsmöglichkeiten aufgibt, kann keinen Anspruch auf hoheitliche Gestaltung erheben. Wir setzen uns deshalb für eine sofortige Rückkehr zur Stärkung der kommunalen Beteiligungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und der für das Gemeinwohl wichtigen Wirtschaftssektoren ein. Rekommunalisierung kann ebenso ein Mittel sein, dass die Daseinsvorsorge wieder in öffentliche Hand gelangt und der politische Einfluss auf die Dienstleistungen, den Preis und die Qualität des Angebotes wieder hergestellt wird.
Wir Jusos Wuppertal fordern zudem auch alle politischen Kräfte auf, dass die Kommune im Rahmen einer Reform finanziell so gestärkt wird und ein Ausgleich zwischen finanzstarken und –schwachen Kommunen erfolgt, so dass Wuppertal in die Lage versetzt wird neben den übertragenen Pflichtaufgaben auch eigenständige Akzente setzen zu können und langfristig die Haushaltskonsolidierung zu schaffen.
Wohnen in Wuppertal
Die Quartiersentwicklung benachteiligter Stadtteile muss konsequent weiter verfolgt werden. Dazu gehört die Fortsetzung des Programms „Stadtumbau West“ und des Fassadensanierungsprogramms der Stadt Wuppertal. Wir Jusos Wuppertal fordern zudem bei der Stadtentwicklung eine familienfreundliche Raumplanung und eine Ausweitung des Freizeitangebotes für Jugendliche und Familien. Dazu gehört auch eine substantielle Stärkung des ehrenamtlichen Engagements und der ehrenamtlichen Strukturen in dieser Stadt.Studieren in WuppertalAls Universitätsstadt macht sich Wuppertal mit der Zweitwohnsitzsteuer unattraktiv für Studierende, die aufgrund ihrer finanziellen Situation und der Wahl eines Studienstandortes, weit entfernt vom Elternhaus, nur ihren Zweitwohnsitz in Wuppertal melden. Studierenden mit Zweitwohnsitz in Wuppertal wird dafür eine Zweitwohnsitzsteuer in Höhe von zehn Prozent der Kaltmiete abverlangt. Oftmals trifft es aber Studierende, die aufgrund ihrer finanziellen Situation keine andere Wahl hatten und sich zudem ggf. selbst die Zweitwohnsitzsteuer nicht einmal leisten können.
Aufgrund der Tatsache, dass alle Studierenden öffentliche Infrastruktureinrichtungen unbegrenzt in Anspruch nehmen können und die Schlüsselzuweisungen von der Anzahl der Einwohner mit Erstwohnsitz abhängig sind, gibt es für die Zweitwohnsitzsteuer jedoch plausible Argumente. In diesem Spannungsfeld zwischen unangemessener Belastung und durchaus berechtigter Forderung ist daher ein überzeugender Lösungsansatz zu wählen.
Wir Jusos Wuppertal setzen uns daher massiv für die Anpassung der Regelungen zur Zweitwohnsitzsteuer dahingehend ein, dass Studierende deren Erstwohnsitz 300 km von Wuppertal entfernt liegt oder deren tatsächlich vorhandenen monatlichen Finanzmittel nach Abzug der Miete 500,00 Euro nicht übersteigen oder die Empfänger von Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind, von der Zweitwohnsitzsteuer befreit werden, sofern die Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind. Dadurch ist gewährleistet, dass Studierende, die bewusst und vielleicht alternativlos die Universität Wuppertal als Studienstandort gewählt haben nicht für den Mangel an Alternativen bestraft werden. Dadurch ist auch gewährleitstet, dass soziale Härtefallregelungen all diejenigen von der Steuer befreien, die über Maß belastet wären.
Mobilität ist ein Grundrecht
Die Stadt Wuppertal hält ein gut ausgestattetes und gut funktionierendes Nahverkehrssystem für seine Bürgerinnen und Bürger vor. In den Randbereichen und Nachtzeiten weist dieses System aber Schwächen auf. Mobilität ist für alle Bevölkerungsgruppen ein wichtiges Gut. Für Jugendliche wie auch für ältere Menschen.
Mobilität ist für viele Jugendliche zentral für die Wahrnehmung von Bildungschancen, die Erreichbarkeit von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie für die Gestaltung ihrer Freizeit. Wichtig ist dabei nicht nur eine gute Anbindung der Stadtteile an das Stadtzentrum, sondern auch eine ausreichendes Angebot von Nachtbussen, um so jungen Menschen in Wuppertal eine unkomplizierte und sichere Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen.
Wir Jusos Wuppertal fordern daher den Erhalt und den Ausbau bestehender Mobilitätsstrukturen ohne Blick auf ökonomische Argumente.
Bildung ist die Wiege der Demokratie
Auf kommunaler Ebene bestehen wenige bildungspolitische Handlungsspielräume. Die Schulentwicklungsplanung ist aber ein Bereich, den wir auf kommunaler Ebene beeinflussen können. Wir Jusos Wuppertal fordern eine ehrliche und bedarfsgerechte Schulentwicklungsplanung. Für Eltern in dieser Stadt, gerade wenn beide Elternteile berufstätig sind, ist ein Angebot an Ganztagskindergarten- und schulplätzen für die Lebensplanung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf essentiell. Wir Jusos in Wuppertal setzen uns gemeinsam mit der SPD für längeres integratives Lernen ein. Daher fordern wir ein bedarfsgerechtes Angebot von Schulplätzen, gegebenenfalls auch durch Umwandlung bestehender Schulen.
Die Nachmittagsbetreuung kann in Zusammenarbeit mit außerschulischen Trägern unter anderem der Jugendhilfe und der Freien Wohlfahrtspflege gestaltet werden, bestehende Kooperationen sind auszubauen. Zudem kann ohne erheblichen Kostenaufwand der Ausbau von Schulbibliotheken und die Ausstattung mit modernen Medien vorangetrieben beziehungsweise bei der Gewinnung von Paten geholfen werden.
Soziale Gerechtigkeit
Die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen ist eine kommunale Aufgabe. Eine Schlüsselrolle spielt die Wirtschaftsförderung, die Unternehmensberatung und wird ergänzt durch die anderen Möglichkeiten Unterstützung anbieten zu können. Eine gute Infrastruktur und attraktive Standortfaktoren erleichtern Unternehmen die Entscheidung zur Ansiedlung. So können Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden und so das Sozialgefüge der Stadt langfristig ausgeglichen werden. An den Stellen an denen Hilfe notwendig ist, fordern wir Jusos ein Betreuungs- und Finanzierungsangebot für Familien und Kinder die sozial benachteiligt sind. Kinderarmut ist für uns inakzeptabel. Jedes vierte Kind in Wuppertal lebt statistisch betrachtet in Armut. Deshalb sind alle Anstrengungen zur Bekämpfung von Kinderarmut zu unternehmen um die Quote kurzfristig erheblich zu senken.Die Städte und Gemeinden müssen sich zudem dafür einsetzen mehr Ausbildungsplätze zu akquirieren. Eine desolate kommunale Finanzausstattung darf nicht dazu führen, dass die Zukunft der jungen Menschen aufs Spiel gesetzt wird. Die Ausbildungsquote in den kommunalen Betrieben der Stadt Wuppertal sollte deutlich über dem Landesdurchschnitt liegen um Defizite in der Privatwirtschaft notfalls zu kompensieren. Die Diskussion um die Verfassungswidrigkeit der Mischverwaltung der ARGE hat Einfluss auf kommunale Betätigungen im Bereich der Beschäftigungsförderung auch in Wuppertal. Wir Jusos Wuppertal fordern daher, dass die Einflussnahmemöglichkeiten der Stadt erhalten bleiben müssen, um sich auch weiterhin intensiv für die Integration von benachteiligten Personen in den Arbeitsmarkt engagieren zu können.
Jugendzentren, Jugendkultur, Sport und Vereine fördern
Die Gefahr besteht, dass die Bedürfnisse von Jugendlichen aufgrund der Bestrebungen im Kleinkindbereich in den Hintergrund treten. Diese Mittelumschichtung kann gefährlich sein. Jugendliche in Wuppertal benötigen Sport- und Freizeitstätten, in denen sie die Freizeit verbringen können. Im Bereich der Jugendzentren leisten die Stadt Wuppertal und die freien Träger gute Arbeit. Immer häufiger fällt dieser Bereich dem Spardiktat zum Opfer, obwohl dort hervorragende Präventionsarbeit und Freizeitpädagogik geleistet wird.Wir Jusos Wuppertal setzen uns darüber hinaus für ein vielfältiges Kulturangebot ein. Sofern die Stadt Wuppertal es nicht selbst anbieten kann oder sollte, schließt dies die organisatorische und geringfügige finanzielle Unterstützung von privaten Initiativen wie Musikschulen und Kultureinrichtungen mit ein. Zudem fordern wir die die Ausweitung der Familientreffs und Jugendzentren um ein niederschwelliges Informations- und Beratungsangebot für junge Menschen bereitstellen zu können. Jugendzentren leisten teilweise Hilfestellung bei häuslichen und schulischen Problemen und bieten Bewerbungs- und Ausbildungsberatungen an. Scheinbar erreichen sie damit zu wenig Jugendliche. Das bestehende erfolgreiche System ist daher auszubauen und das Angebot bedarfsgerecht zu erweitern.
Zum sozialen Reichtum der Stadt gehören die vor Ort aktiven Initiativen und Vereine. Sie bieten vielen jungen Menschen zusätzlichen Raum für ihre Freizeitgestaltung. Damit sind sie ein entscheidender Faktor für die Lebensqualität in unserer Stadt. Vielfach übernehmen sie auch eine wichtige soziale Funktion, da sie sich mit ihrem Angebot aktiv gegen Ausgrenzung, Rassismus und Langweile richten. Die Arbeit der Vereine ist jedoch stark abhängig vom Engagement ihrer Mitglieder. Daher wollen wir vor allem die ehrenamtliche Betätigung junger Menschen vor Ort unterstützen und aktiv fördern. Dazu zählen auch die Bereitstellung und der Erhalt einer adäquaten Sportinfrastruktur.
Umwelt menschengerecht gestalten und Umweltqualität verbessern
Die Verbesserung der Umweltqualität muss weiterhin eines der wichtigsten Ziele unserer Politik vor Ort sein. Wir jungen Menschen, unsere Kinder und folgende Generationen müssen das Erbe antreten, das wir ihnen hinterlassen. Wir gestalten die Welt in der wir leben. Wir Jusos Wuppertal fordern eine Begrenzung der Ausweisung von Ausgleichsflächen, die Renaturierung freiliegender Brachen, die kurzfristig keiner neuen Nutzung gewidmet werden können und die stetige Begrünung stark bebauter Innenstadtbereiche.
Die Schadstoffreduzierung gehört ebenso zur Verbesserung der Umweltqualität. Bürokratische und unwirksame Monster wie die Umweltzonen, tragen nicht zur Verbesserung der Umweltqualität bei. Wir Jusos Wuppertal fordern daher ein Umweltschutzkonzept der Stadt, dass kommunale Unternehmen zu einem realen Beitrag zur Luftverbesserung verpflichten. Alle Alternativen sind zu prüfen und losgelöst von finanziellen Argumenten aufgrund der größtmöglichen Beiträge zur Verbesserung der Luftqualität umzusetzen. Der Ausbau der Fernwärmeversorgung, die stärkere Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung und die Modernisierung der bestehenden Kraftwerke sind ebenfalls vorzusehen. Über die bestehenden Beratungsangebote im Energiebereich, soll im Rahmen einer Energieeffizienzkampagne auf die Bürgerinnen und Bürger etwa bei Kaufentscheidungen in Bezug auf neue Heizungssysteme Einfluss genommen werden, um auch im privaten Bereich Beiträge zu erzielen. Die kommunalen Unternehmen sollen zudem Beiträge zur Steigerung der Energieeffizienz leisten. Soweit möglich muss in diesem Zusammenhang eine Förderung öffentlicher und privater Einsparvorhaben im Bereich der Wärmedämmung stattfinden. Investitionen in moderne, Ressourcen schonende und sichere Energien sind für die Stadt Wuppertal unerlässlich.
Einige Bürgerinnen und Bürger scheinen ihre Verantwortung für die nachfolgenden Generationen nicht ernst zu nehmen. Daher fordern wir Jusos Wuppertal eine stärkere Kontrolle und Ahndung von Umweltdelikten.
„Es gibt genug Gründe für Vertrauen in Deutschland. Es gibt noch mehr Gründe, Verantwortung zu übernehmen und sich einzumischen. Es gibt genug Gründe, darauf zu vertrauen, dass wir in Deutschland die Zukunft meistern werden. Es gibt noch mehr Gründe, sich einzusetzen für unser Vaterland, in dem wir gerne leben. Es liegt an jedem von uns, dieses Land, unser Land jeden Tag ein Stück besser und menschenfreundlicher zu machen.“
Dr. Dr. h.c. Johannes Rau (Berlin 2004)