Antrag A1 zur Unterbezirkskonferenz der Jusos Wuppertal am 5. Oktober 2008 in Wuppertal
Für eine ehrliche, zukunftsgerechte und nachhaltige Integrationspolitik
„Kulturelle Vielfalt aber ist heute ein Merkmal erfolgreicher Gesellschaften. Wer in Deutschland gleiche Chancen haben und nutzen will, muss die deutsche Sprache lernen und schließlich beherrschen. Wir wollen Bildungsangebote verbessern. Wir hoffen und erwarten, dass sie genutzt werden. Integration, auch die sprachliche, gelingt am besten, wenn sie im Kindesalter beginnt. Die Chancen, die in der Mehrsprachigkeit von Einwanderern liegen, wollen wir nutzen.“
(Grundsatzprogramm der SPD, Hamburg 2007)
Mehr als 15 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland haben eine Zuwanderungsgeschichte. In Wuppertal betrug der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im gesamtstädtischen Durchschnitt 27,8 %, das heißt jeder vierte Einwohner der Stadt oder irgendeiner der näheren Vorfahren wurde nicht in Deutschland geboren. Die meisten von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit oder leben seit vielen Jahren oder seit Generationen in diesem Land.
Trotzdem wird der Bereich Integrationspolitik mehr von Diskussionen über „Leitkultur“ und „Assimilation“ bestimmt, als über die tatsächliche Diskriminierung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu sprechen. Diese beginnt bereits beim rechtlichen Status, zieht sich durch die Bildung und Ausbildung, durch das Arbeitsleben, bis hin zum Leben im Alter und darüber hinaus.
Hinzu kommt die Debatte über eine angeblich höhere Kriminalität, flächendeckende Diskriminierung der Frau und religiöser Fundamentalismus und andere wiederkehrende Klischees. Die tatsächliche Vielfalt der Lebensrealitäten und die Erfolgsgeschichten von Menschen mit Migrationshintergrund spielen keine Rolle. Wir Jusos Wuppertal fordern daher, den Blick endlich auf die Tatsachen zu fokussieren: Gewalt und Diskriminierung sind keine ethnischen, sondern soziale Probleme. Integration vollzieht sich auf mehr als einer gesellschaftlichen Ebene, der Fokus muss endlich auf eine ehrliche und zukunftsorientierte Integrationspolitik gelenkt werden um den Bedürfnissen einer stetigen wachsenden Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern gerecht zu werden.
Die politische Debatte des Themas orientiert sich vielmals an defizitorientierten Betrachtungen. Unberücksichtigt bleiben die Chancen, die in einer multikulturellen, vielsprachigen und vielfältigen Gesellschaft liegen können, die Chancen, die Zweisprachigkeit im schulischen und beruflichen Bereich bilden können, die Beiträge zum Erhalt des sozialen Systems durch Belebung der Population und die kulturellen Errungenschaften, die durch kulturellen Dialog entstehen. Wir Jusos Wuppertal setzen uns dafür ein, dass gerade die politische Diskussion aus diesem Blickwinkel geführt wird und nicht die Migrantinnen und Migranten zu den Schuldigen eines gesellschaftlichen Systems macht, dem Integration zurzeit derart fremd ist.
Frühkindliche Förderung und Bildung
Schon vor der Geburt ihres Kindes, stellen sich für die Eltern zahlreiche Fragen, von der Gesundheit, ärztlichen Betreuung und Versorgung, bis hin zu finanziellen Aspekten. Die Aufklärungsarbeit in Bezug auf all diese Fragen, muss unbedingt auch für werdende Eltern und gerade gewordene Eltern geleistet werden. Dabei ist besonders auch auf religiöse und kulturelle Aspekte zu achten.
Im Grundschulbereich stellen sich für die Kinder enorme Herausforderungen und Hürden. Schwierigkeiten, denen junge Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in der Grundschule begegnen, kann bereits durch eine gezielte frühkindliche Förderung begegnet werden. Die Förderung muss frühzeitig in der Entwicklung der Kinder ansetzen, so dass Defizite nicht verstärkt, sondern rechtzeitig behoben werden. Auch darauf muss ein entsprechendes Beratungs- und Aufklärungsangebot hinweisen und beratend zur Seite stehen. Die Teilnahme an solchen Förderungsmaßnahmen ermöglicht zudem eine noch frühere Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Viele Eltern mit Zuwanderungsgeschichte haben diese Chancen und Potentiale bereits erkannt. Die Zahlen der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund an Kindergärten in der gesamten Stadt steigen stetig von Jahr zu Jahr. Damit diese Förderung aber alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft erreicht, fordern wir eine allgemeine Kindergartenpflicht ab dem 3. Lebensjahr.
Durch frühe Sprachförderung muss daran gearbeitet werden das möglicherweise vorhandene Sprachdefizite behoben werden. Immer häufiger wird festgestellt, dass zahlreiche Kinder die eigene Muttersprache und auch die deutsche Sprache nicht fehlerfrei beherrschen. Die Sprachbeherrschung ist aber eine notwendige Voraussetzung um erfolgreich am alltäglichen Leben und später am Schulleben teilnehmen zu können. Schülerinnen und Schüler mit Sprachdefiziten müssen zusätzlich sprachlich gefördert werden. In der deutschen Sprache, wie auch in der Muttersprache, denn Integration soll schließlich nicht zum Verlust zusätzlicher sprachlicher Kompetenzen führen, sondern diese erhalten.
Schulausbildung
Im Vergleich zeigt sich, dass gerade das deutsche Bildungssystem so selektiv ist wie kein anderes in Europa. In den letzten Jahren hat sich herauskristallisiert, dass gerade die Kinder und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte in der 2. und 3. Generation die großen Verlierer im deutschen Bildungssystem sind und sie bei den Bildungsabschlüssen wesentlich schlechter abschneiden als der Durchschnitt der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund.
Auch die Verteilung auf die verschiedenen Schulformen zeigt ein total diametrales Verhältnis der Verteilung zwischen Hauptschule und Gymnasien. Häufig sind gering ausgeprägte soziale Kompetenzen, eine selektive Beurteilung durch die Lehrerinnen und Lehrer oder andere diskriminierende Selektionsmechanismen die Ursache.
Wir Jusos Wuppertal fordern daher die Anerkennung bereits erworbener Qualifikationen. Die Anerkennung von Schulabschlüssen, die im Ausland erworben wurden, ist gerade für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte von fundamentaler Bedeutung, wenn diese sich noch im Schulalter befinden. Wir fordern die Eingliederung in Klassen mit gleichaltrigen Mitschülerinnen und Mitschülern und lehnen die Verweisung in eine niedrigere Klasse oder in eine leichtere Schulform aufgrund ihres Migrationshintergrundes entschieden ab. Wir fordern eine spezifische Förderung und individuelle integrative Sozialisierung ohne Diskriminierung und Selektion. Wir fordern Parallelbetreuung durch Lehrpersonal, Pädagogen und Soziologen mit Migrationshintergrund oder zusätzlichen Sprachkenntnissen. Dadurch sollen Spannungen im interkulturellen Bereich vermieden werden. Zudem fordern wir zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz der gesamten schulischen Gesellschaftsteile einen Ausbau der kulturellen, sozialen und sportlichen Angebote. Ein adäquat gestaltetes Förderangebot soll parallel zur schulischen Ausbildung genauso dazu beitragen, dass Stärken gefördert und Schwächen beseitigt werden. Schülerinnen mit Zuwanderungsgeschichte weisen oftmals einen anderen Förderungsbedarf auf als Schülerinnen ohne Zuwanderungsgeschichte. Wir Jusos fordern daher, dass diesen Bedürfnissen endlich auch das deutsche Bildungssystem gerecht wird.
Hochschule und Ausbildung
Die Diskriminierungen setzen sich auch nach erfolgreicher schulischer Ausbildung im Bereich der Hochschulen fort. Wir Jusos lehnen Gesinnungstest für ausländische Studierende als rassistisch und fremdenfeindlich ab.
Immer mehr Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte erwerben keinen berufsqualifizierenden Schulabschluss und sind auf staatliche Transferleistungen, oftmals ein Leben lang angewiesen. Wir Jusos Wuppertal fordern daher ein breiter aufgestelltes migrationsspezifisches Ausbildungsangebot auch für Jugendliche ohne Schulabschluss oder das Recht einen Schulabschluss in jedem Falle nachholen zu dürfen. Auch hier ist mit gezielter individueller Förderung die Chance zu eröffnen, dass jeder Mensch, gleich seiner Herkunft, die Chance auf Erfüllung des Berufswunsches bekommt.
Arbeitsmarkt und Leben
Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind auf dem Arbeitsmarkt nachweislich benachteiligt. Der Anteil der Arbeits- und Erwerbslosen ist signifikant höher, das Qualifikationsniveau insgesamt schlechter. Hinzu kommt, die Diskriminierung aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft. Dies liegt zum einen daran, dass junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wesentlich schlechtere Bildungschancen und damit auch vermehr schlechtere oder keine Bildungsabschlüsse besitzen. Da die Anforderungen an die formalen Qualifikationen der Bewerberinnen und Bewerber in den letzten Jahren stets gestiegen sind, werden die Verlierer des deutschen Bildungssystems auch die Verlierer auf dem Arbeitsmarkt. Individuelle Fähigkeiten und weit reichende Kompetenzen finden oftmals keine Berücksichtigung.
Wir Jusos Wuppertal setzen uns daher dafür ein, dass der Migrationshintergrund von Menschen kein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt und bei der Verwirklichung der eigenen beruflichen Pläne sein darf. Die ARGE Wuppertal muss gemeinsam mit freien Trägern verstärkt auf Unternehmen zugehen und Vorurteile abbauen! Die Herkunft eines Menschen oder seiner Vorfahren darf keine Rolle bei der Entscheidung über die Ausbildungsplatzvergabe oder Jobvergabe spielen!
Schon in der Schule ist darauf zu achten, dass die Berufsberatung für den Übergang in den Beruf passend ist, und jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte tatsächlich eine Chance bietet. Außerdem wird die ARGE aufgefordert verstärkt Ausbildungsplätze in von Migrantinnen und Migranten betriebenen Unternehmen zu suchen und bei der Ausbildungsplatzvergabe mit Rat und Tat zu unterstützen.
Wir vor Ort, sehen zuerst, ob Integration gelingt oder misslingt. Damit kommunale Integration erfolgreich sein kann, braucht es einer Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen. Hierbei muss jedoch auch die Herkunft der Migrantinnen und Migranten berücksichtigt werden, da in jedem Fall kulturell und sozial verschieden Ansätze angewandt werden müssen.
Wir Jusos Wuppertal fordern daher die Erweiterung des Integrationskonzeptes für Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und Lebensalter, um zielorientierte Angebote zu entwickeln, die der Integration zusätzlich förderlich sind. Integration setzt nicht nur bei Kleinkindern an, sondern setzt sich über die Familien fort bis hin zu herkunftsspezifischen Angeboten für Seniorinnen und Senioren.
Höhere Ausgaben im Bereich Integration werden unabdingbar sein, um erfolgreiche individuelle Maßnahmen realisieren zu können. Dabei muss aber auch klar sein: Eine gescheiterte Integration kostet um Einiges mehr. Betrachtet man hingegen den volkswirtschaftlichen Nutzen und die Potentiale, sowie den demografischen Wandel und steigende Nachfrage an gut ausgebildeten Fachkräften, wird eines deutlich. Von Mehrausgaben und erfolgreicher Integration kann die gesamte Gesellschaft nur profitieren.
Partizipation
Einer der wichtigsten Schritte für die Integration von Migrantinnen und Migranten ist es, ihnen die Teilnahme an der demokratischen Willensbildung zu ermöglichen. Dazu gehört vor allem die Kommunalwahl. Aus diesem Grund fordern wir ein echtes kommunales Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten. Darüber hinaus muss der Migrationsausschuss als eigenständiger ordentlicher Ratsausschuss erhalten werden.
Leben im Alter
Auch über das Leben im Alter müssen sich Jusos verstärkt Gedanken machen. 65 % der Migrantinnen und Migranten sind über 65 Jahre alt. Weder können herkömmliche Alten- oder Pflegeheime den kulturellen, religiösen und sprachlichen Ansprüchen der Senioren mit Zuwanderungsgeschichte gerecht werden, noch bestehen ausreichend niederschwellige Angebote im Altenpflegebereich, welche die Familie adäquat entlasten oder gar ersetzen könnte. Hier muss es einen Ausbau der Netzwerke zwischen Pflegeinrichtungen und Migranten geben.
Für ein faires Miteinander
Integration erfolgreich gestalten, heißt Integration in jedem Lebensbereich mitdenken Es dominiert in der Öffentlichkeit die Diskussion über Migrantinnen und Migranten die Illusion von einer Integrationsverweigerung der Mehrheit der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Das Ideal einer modernen Einwanderungsgesellschaft ist aber noch lange nicht erreicht. Ein Dialog auf Augenhöhe kann erst dann stattfinden, wenn alle Beteiligten rechtlich gleichgestellt sind und damit dieselben Zugangsmöglichkeiten zu politischen Entscheidungsprozessen haben. Die Ebenen auf denen Migration stattfindet bedingen sich gegenseitig und können nicht voneinander getrennt behandelt werden. Wer andere wie Menschen zweiter Klasse behandelt und einstuft, kann nicht erwarten, dass diese sich als vollwertig und integriert betrachten und entsprechend verhalten. Verschärfungen des Zuwanderungsrechts, Fehlende Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft und Einbürgerungstest fördern Abgrenzungstendenzen und behindert zusätzlich die Identifikation mit der Mehrheitsgesellschaft. Die Diskussion über Integration bleibt so ein Diskurs der Mehrheit über eine weitgehend rechtlich und sozial schlechter gestellte Minderheit.