Die Bundesregierung hat die Krise offiziell für beendet erklärt. Die wirtschaftliche Stimmung ist so gut wie niemals zuvor und die „Wirtschaftsweisen“ überschlagen sich mit der Korrektur ihrer Prognosen nach oben. Die Bundesrepublik Deutschland sei wie der Phoenix aus der Asche aus der Krise aufgestiegen, jubelt der Bundeswirtschaftsminister. Gibt es wirklich Grund zum Jubeln?
Zutreffend ist, dass nach allen Prognosen der wirtschaftliche Einbruch nach nur zwei Jahren Krise wieder ausgeglichen wäre, denn auch die Arbeitslosenquote könnte 2011 erstmals seit 1992 auf sieben Prozent sinken. Gibt es wirklich Grund zum Jubeln?
Tatsächlich ist die Stabilität am Arbeitsmarkt in und nach der Krise verschiedenen Formen von Arbeitszeitverkürzung zu verdanken. Mit Kurzarbeit, dem Abbau von Arbeitszeitkonten und Überstunden haben die Beschäftigten im Rahmen stabiler Dauerarbeitsverhältnisse, insbesondere in der Industrie, mit „interner Flexibilität“ dazu beigetragen. Fakt ist aber, dass Leiharbeiter und befristet Beschäftigte dagegen massiv von Entlassungen betroffen waren. Der nun gefühlte Aufschwung hat eine Kehrseite, denn die Zahl der Beschäftigten erhöht sich, jedoch bei sinkendem Arbeitsvolumen. Daneben führt die Ausbreitung von Niedriglöhnen dazu, dass es immer weniger Arbeitsplätze gibt, die eine eigenständige Existenzsicherung ermöglichen. Von bevorstehender Vollbeschäftigung kann also längst keine Rede sein. Was ist dann der Grund für den raschen Aufschwung? Exakt die gleiche Entwicklung, die Deutschland für diese Weltwirtschaftskrise so anfällig gemacht hat: Exporte.
Deutschlands Wirtschaft schrumpfte in der Krise doppelt so stark, wie etwa in Frankreich oder den USA. In nur sechs Monaten stürzten die Warenausfuhren bis zum Frühjahr 2009 auf nur noch knapp 60 Milliarden Euro ab. Im selben Zeitraum sauste das Bruttoinlandsprodukt um fast sechs Prozent nach unten. Die einseitige Exportabhängigkeit ist für den starken Absturz der deutschen Wirtschaft verantwortlich, aber auch für deren schnelle Erholung. Die Risiken bleiben also, denn von einem soliden, nachhaltigen Wachstum kann nur gesprochen werden, wenn es durch die Binnennachfrage getragen wird! Gerade an dieser Stelle begibt man sich aber in den Teufelskreis. Mit sinkenden Lohnniveaus, Verringerung des Gesamtarbeitsvolumens und der Ausweitung prekärer Beschäftigung, nimmt die Binnennachfrage stetig ab. Kein Wunder also, dass neben Brüderle und Merkel nun auch Westerwelle um höhere Löhne bettelt! Denn die Auswirkungen dieser Politik sind dramatisch. Nie zuvor gab es in Deutschland eine derartige Auseinanderentwicklung von Arbeitseinkommen auf der einen und Gewinn- und Vermögenseinkommen auf der anderen Seite. Seit über zehn Jahren stagnieren die realen Arbeitnehmerentgelte, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen explodierten. Nun wird aber der erfolgte Einbruch in der Krise der Prognose zufolge aber bereits 2011 fast wieder ausgeglichen sein. Wenn sich diese Prognose bewahrheitet, geht die Umverteilung von unten nach oben munter weiter! Fakt ist: Schuldenbremse und sozialer Kahlschlag verlängern die Krise.
Fakt ist: Trotz steigender Steuereinnahmen, sind weite Bereiche des Staates chronisch unterfinanziert. Bildung, Soziales und Kommunen leiden unter Einsparungen und Haushaltslöchern. Wo also sollen die Spielräume für Steuersenkungen stecken? Die Schätzung der Steuereinnahmen im Mai 2008, also vor der Krise, ging von Steuereinnahmen im Jahr 2011 von 620 Milliarden Euro aus. Nach der Steuerschätzung im Mai 2010 waren es nur noch 515 Milliarden. Selbst die nun in der Steuerschätzung im November 2010 erwarteten 537 Milliarden Euro Steuereinnahmen lassen keinen Spielraum für weitere Steuergeschenke.
Mehr zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben sowie steigende Löhne in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst sind die entscheidenden Komponenten. Mit dem vom Juso-Bundesvorstand vorgelegten Diskussionspapier zu einem Steuerkonzept und den Forderungen der Gewerkschaften ist eine erste Positionierung dazu vorgenommen. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass ein solches Steuerkonzept, die Probleme alleine nicht lösen kann, solange es insgesamt aufkommensneutral bleibt. In vielen Kommunen Deutschlands ticken mit den Kassenkrediten wahre Zeitbomben. Im wirtschaftlichen Aufschwung in der Eurozone ist es nur eine Frage der Zeit, bis die EZB den Leitzins anheben wird. Diese Zinserhöhungen wirken sich auch auf die Kassenkredite der Städte und Gemeinden aus. Alleine in NRW bedienen die Städte und Gemeinden 31,9 Milliarden Euro an Investitionskrediten und 17,2 Milliarden Euro an Kassenkrediten. Nur 0,5 % Zinsen pro Jahr auf die Kassenkredite, würden 86 Millionen Euro an Zinszahlungen pro Jahr zur Folge haben. Die Zinssätze dürften höher ausfallen und wenn sie steigen, droht den Kommunen faktisch der Konkurs. Zudem stellen die steuermindernd zu berücksichtigen Firmenverluste im Volumen von 500 Milliarden Euro ein unkontrollierbares Risiko dar, denn es ist unklar, wann die Firmen die Krisenverluste geltend machen werden. Diese Verluste werden die Kommunen in den kommenden Jahren mit sinkenden Gewerbesteuereinnahmen deutlich zu spüren bekommen.
Ein gerechtes Steuerkonzept muss also mehr beinhalten als Ausgabensteigerungen in Bildung und Umwelt auf der einen und Einnahmesteigerungen durch Erhöhung der Kapitalertrags-, Finanztransaktions-, Vermögens- und Erbschaftssteuer auf der anderen Seite. Es darf nicht eindimensional bleiben, sondern muss den Grundsatz der Steuergerechtigket neu definieren. Wir müssen daher die Debatte über ein ganzheitlich gerechtes Steuern- und Ausgabensystem des Staates führen, das alle Belange und Lebensbereiche berücksichtigt. Populistischen Zahlenspielereien müssen wir unsere Vorstellungen eines gerecht und ausgeglichen finanzierten Staates entgegenhalten.