Bereits auf dem Verbandswochenende am 22. und 23.01.2011 haben wir uns mit der aktuellen Bewertung des Wachstums der Wirtschaft in Deutschland beschäftigt. Unser Ergebnis war klar und eindeutig. Wenn Unternehmer und Arbeitnehmer gleichermaßen profitieren, sprechen wir von einem positiven Wirtschaftswachstum. Die bittere Erkenntnis ist aber, dass dies seit Jahren nicht mehr der Fall ist.
In der Debatte um die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns fehlt eine Anerkennung klarer Fakten: Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre ist fast ausschließlich im Bereich prekärer Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Dieser Trend wird sich durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach der Osterweiterung der Europäischen Union verstärken, denn kurzfristig ist davon auszugehen, dass die Zahl der temporären, und damit oftmals auch prekären, Arbeitsaufenthalte von Migrantinnen und Migranten zunehmen wird. Ein Effekt der in einigen Berufsfeldern durchaus die benötigten Arbeitskräfte nach Deutschland bringen wird. Mit Sicherheit aber auch ein Effekt, der Wertschöpfung und Wirtschaftswachstum in diesen Fällen nur auf Seiten der Unternehmen generieren wird, da der innerdeutsche Arbeitsmarkt dabei nicht bedient wird oder die Bewerberinnen und Bewerber gänzlich fehlen. Ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einer Befriedigung der Nachfrage nach Fachkräften führen wird, bleibt abzuwarten, da auch das IWH in einer aktuellen Studie davon ausgeht, dass die Migrationspotentiale aus Mittel- und Osteuropa eher gering sind.
In diesem Kontext ist die Debatte um die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes hitziger geworden. Das Ziel ist letztlich eine faire Umverteilung. Linderung von Armut, denn nur davon kann letztlich bei einem Stundenlohn von 8,50 € gesprochen werden, und Lohngerechtigkeit sind hehere Ziele. Sie lassen sich aber auf zwei Wegen erreichen. Entweder wird im Rahmen einer solidarischen Lohnpolitik, sprich einem Mindestlohn, oder über das Steuersystem zu Gunsten der Geringverdiener umverteilt. Die Gefahr bei ersterem ist, dass die dann gesetzlich verordnete Stauchung der Lohnstruktur als ungerecht umpfunden wird und die alten Lohnabstände über Lohnerhöhungen bei Nicht-Mindestlohnbeschäftigten wiederhergestellt werden. Das macht Arbeit letztlich teurer, senkt den Anreiz in Bildung zu investieren und birgt das Risiko, dass die Unternehmen bei den weniger qualifizierten Arbeitnehmern rationalisieren. Hinzu kommt die Tatsache, dass ein Mindestlohn nicht zielgerecht umverteilen kann, sondern in Familienhaushalten mit Kindern durch staatliche Transfers ergänzt werden muss. Die Spareffekte des Staates durch sinkende Sozialtransfers werden dadurch reduziert.
Eine Umverteilung über Steuersysteme knüpft hingegen am Haushaltsbedarf an. Sie verursacht auch keinen Lohndruck. Dafür steigt die staatliche Belastung, für die Fälle, in denen Unternehmen die Löhne absenken. Ein Effekt, den wir bei den so genannten Aufstockern bereits heute sehen können. Herr Brüderle wird uns an dieser Stelle aber plausibel begründen können, warum diese staatliche Subvention des ersten Arbeitsmarktes zur Steigerung der Unternehmensgewinne notwendig ist. Wägt man hingegen die Vor- und Nachteile beider Systeme ab, spricht dies für eine Mischlösung. Zieht man Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit als Kriterien hinzu, kommt es zu einer gerechteren Lohnstruktur und zur Sicherung der als angmessen empfundenen Deckung der Grundbedürfnisse. Aber auch ein konsensorientierter Ansatz wird nie darüber hinwegtäuschen können, dass beide Gerechtigkeitsgedanken letztlich in einem Widerspruch zueinander stehen.
Wahrheiten müssen letztlich anerkannt werden: Die Lohnschwäche wurzelt in der Schieflage des Arbeitsmarktes! Ein Mindestlohn kann kurzfristig die Motivationslage erhöhen und stärkere Einkommensunterschiede führen nicht zu stärkeren Leistungsanreizen! Wirtschaftswachstum ist dann gut, wenn alle davon fair profitieren! Es gilt also das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Equal pay, die Stärkung der Gewerkschaften, die Ausweitung der Tarifvertragsfreiheit, die Sicherung der Flächentarifverträge, die Deckung des Grundbedarfs von Familien und die Eingrenzung der Befristungstatbestände und Befristungszeiträume wären erste wichtige Schritte. Vielleicht werden wir dann davon überrascht, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich schnell darüber einig sein könnten, was gut für jeden ist.