“In der ganzen Welt ist jeder Politiker sehr für Revolution, fürVernunft und Niederlegung der Waffen – nur beim Feind, ja nicht bei sich selbst. (Hermann Hesse)”
Drei Tage Bundeskongress mit Antragsberatung, die Parteiprominenz mit Gabriel, Nahles, Schwesig und Steinbrück vor Ort, intensive Gespräche und doch bleibt das Gefühl, dass dieser Bundeskongress 2012 in Magdeburg kein erfolgreicher war. Nicht weil die beratenen Anträge schlecht gewesen wären oder die Beschlüsse nicht immer zu den eigenen politischen Positionen passen. Nein, deshalb nicht. Nicht weil die Parteispitze die Jusos links liegen gelassen hätte und kein Dialog zwischen Arbeitsgemeinschaft und Partei zustande gekommen wäre. Nein, deshalb nicht. Auch nicht weil die Parties mies gewesen wären und einem die Delegierten nicht gefallen hätten. Nein, deswegen nicht. Auch nicht weil NRW wieder einmal den Kongress maßgeblich geprägt hat und wir fünf von sieben Anträgen erfolgreich platzieren konnten. Nein, deswegen schon gar nicht.
Es war ein intensiver Bundeskongress. Er hatte zentrale Inhalte zu bieten. Die Reform des Verbandes und einiger wichtiger Neuerungen wurden im Ansatz auf den Weg gebracht. Alles richtig. Wir haben als Arbeiterjugend ein klares inhaltliches Profil für die Bundestagswahl definiert, um jungen Menschen in Deutschland eine überzeugende inhaltliche Alternative zu schwarz-gelber Murkspolitik zu bieten. Absolut wichtig. Wir haben Beschlüsse gefasst, die deutlich machen, dass Politik für Menschen gemacht wird und nicht gegen sie. Absolut selbstverständlich.
Gestört hat mich der Umstand, dass es einigen wenigen schwer gefallen ist, den Weg zu guten Beschlüssen und hin zu einem erfolgreichen Kongress, ohne Konflikte zu gehen, die in ihrer Art und Ausprägung zu vermeiden gewesen wären. Unser Anspruch muss es schließlich nicht nur sein, gut Beschlüsse zu fassen, sondern diese Beschlüsse auf Basis einer Debatte zu fassen, die allen die Chance zur Beteiligung und zur Darstellung aller sachlichen Argumente für die jeweilige Position gibt. So ist mein Verständnis, so ist unsere Struktur im Kern aufgebaut, angelegt und gedacht.
“Es ist wichtiger, etwas im kleinen zu tun, als im großen darüber zu reden. (Willy Brandt)”
Jusos beschreiben sich in den Debatten selbst gerne als links, als feministisch, als internationalistisch und antifaschistisch. Vielen sind diese Attribute wichtig. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind unsere Grundwerte, die diese Attribute unterlegen. Blickt man nun auf die derzeitige innere Meinungsvielfalt des Verbandes kann man eigentlich nicht anders, als das Attribut pluralistisch zu ergänzen. Denn das sind die Jusos, auch wenn man manche wenige es nicht wahrhaben wollen oder gar negieren. Und es ist eine Frage der eigenen Grundwerte, eine Frage der eigenen Attribute, wie damit umgegangen wird. Auf diesem Bundeskongress haben wir in Sachen Selbstverständnis und politischer Kultur meiner Meinung nach einen Tiefpunkt erlebt. Deswegen haftet dem Bundeskongress trotz aller guten Beschlüsse ein fader Beigeschmack an. Nicht nur in der Debatte um die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück und den im Vorfeld veröffentlichten Briefen, sondern auch im Umgang mit Genossinnen und Genossen haben Einzelne bewiesen, dass sie eines nicht sind: tolerant und verständig! Ist es feministisch eine Frau auf der Bühne auszubuhen, wo wir doch die quotierte Redeliste haben, damit mehr Frauen in den Debatten zu Wort kommen? Ist es gerecht, wenn ein offenkundiges Verbrechen halbherzig unter den Tisch fallen gelassen wird? Ist es freiheitlich, wenn nur die eigene Meinung das Maß aller Dinge sein darf und ich Andersdenkende beschimpfe? Als Mitglied der Delegationsleitung der NRW Jusos ist mir der Hinweis wichtig, dass ein fairer Umgang miteinander und der Verzicht auf Anfeindungen jeglicher Art im Vorfeld in und von der gesamten Delegation nicht nur erbeten sondern auch uneingeschränkt beachtet wurde. Wir sind damit dem von mir beschriebenen Anspruch gerecht geworden. Dies gilt auch für große Teile der Delegationen auf dem Bundeskongress. Aus meiner Sicht ist es doch gerade emanzipiert, wenn man es Jeder und Jedem ermöglicht, am politischen Leben der Jusos teilzunehmen und das Wirken des Verbandes mitzugestalten. So ist es von allen Beteiligten gewollt und auch ermöglicht und kann und darf nicht begrenzt werden.
Es geht dabei explizit nicht um die Inhalte, denn Meinungsvielfalt gehört zur Pluralität und die Abstimmung über Positionen bedeutet immer auch die Ablehnung der einen oder der anderen Position. Das ist Demokratie. Es geht dabei um den Stil, um das Wie und die Kultur des Miteinander. Da darf es auch einmal lauter werden und die Wortwahl in derbere Gefilde abschweifen. Da darf es zur Sache gehen und auch mal richtig krachen. Es zeugt aber von Ignoranz und Borniertheit, wenn man Inhalte ablehnt, weil einem der Antragsteller nicht gefällt, anstatt sich inhaltlich und sachlich fundiert eine Meinung zu bilden. Ja, es ist falsch was dort passiert ist. Es ist falsch, wie einzelne damit umgehen und es musste mehr passieren, als Angebote zur Aufarbeitung in Gesprächen. Ich begrüße deshalb die Tatsache, dass unmittelbar mit Betroffenen der Dialog aufgenommen wurde und das Ziel einer verantwortungsbewussten Aufarbeitung formuliert wurde. Ein Schritt in genau die richtige Richtung.
“In der Politik ist es manchmal wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle begehen, wird schließlich als Regel anerkannt. (André Malraux)”
Bei den Jusos sind solche Ereignisse nicht die Regel und sollten nicht zur Regel werden. Was soll sonst noch alles passieren, bis wir anfangen, über das Miteinander nachzudenken? Deswegen gilt es nun einen Schritt weiter gehen und in verständigem Dialog die gewünschte Kultur des Miteinander einfach zu leben.
PS: Im Nachgang zu den Gesprächen und Erlebnissen im Kontext des Beitrages ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich den Wunsch hatte, Teile des Beitrages nachträglich zu verändern, um der Intention und dem Ziel des Beitrags besser gerecht werden zu können. Ich freue mich auf weitere Gespräche und einen offen Dialog dazu.